"Nur noch einmal richtig essen, und dann sterben": KZ-Überlebender Eugeniusz Dabrowski als Zeitzeuge am DHG

Rar sind diejenigen geworden, die aus eigener Erfahrung als Zeitzeugen von ihren Erlebnissen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialsten erzählen können. Umso wertvoller war der von der Initiative Gedenkstätte Eckerwald e.V. organisierte Besuch von Eugeniusz Dabrowski am Droste-Hülshoff-Gymnasium, bei dem er den Schülerinnen und Schülern der Klassen 9b und 9d eindrücklich seine Erinnerungen schilderte. In ihrer Warschauer Wohnung verbargen seine Eltern in der Besatzungszeit einen jungen Juden. Nachdem die Gestapo davon erfuhr, begann für die Familie ein Martyrium. Der mittlerweile 90-jährige Dabrowski gibt seine Erinnerungen an die junge Generation weiter und setzt sich dafür ein, das Gedenken wach zu halten. Damit sich Geschichte nicht wiederholt.

Auf dem Foto: Eugeniusz Dabrowski erzählt Schülern des DHG im Beisein seines Sohnes von seinen Erlebnissen in den Jahren 1944/1945. Unterstützt wird er von Johanna Plonka, die seine auf Polnisch vorgetragenen Ausführungen ins Deutsche übersetzt.

Um drei Uhr in einer Nacht im Mai des Jahres 1944 klopfte die SS an der Tür der elterlichen Wohnung von Eugeniusz Dabrowski. Er und seine Familie mussten sofort mitkommen und wurden in Viehwaggons in verschiedene Konzentrationslager überführt. Der damals 16-jährige kam zusammen mit seiner Mutter, drei Schwestern und einem Neffen nach Auschwitz-Birkenau.

Viele seiner Landsleute haben damals das Unrecht der Besatzer nicht akzeptiert und kämpften für ein freies, tolerantes Polen, sagt Dabrowski. Auch seine Familie habe aus ihrem christlichen Glauben heraus immer zu den Juden gehalten und so war es für sie nur folgerichtig, auch unter Lebensgefahr, verfolgten Juden in Warschau zu helfen. So auch Rachmiel Frydland, den sie eine Zeitlang in ihrer Wohnung verbargen. Doch dies blieb nicht unentdeckt. Einige Nachbarn seien den Deutschen durchaus zugetan gewesen und beäugten ihr Umfeld kritisch. Und so kam es zum Verrat. Rachmiel Frydland fand die SS zwar nicht, doch die Familie war denunziert, wurde verhaftet und deportiert.

Bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau wurde sie getrennt. Dabrowski hat nie den süßlichen Geruch vergessen, der beim Aussteigen aus den Waggons in der Luft lag und von den Krematorien herüberwehte. Die Bedingungen im Lager beschreibt er als unmenschlich. 500 bis 600 Häftlinge in jeder Baracke, eine Pritsche für fünf Personen, spärliche Bekleidung, Kälte, stundenlange Appelle und schreckliche Szenen, die der 16-jährige Jugendliche mit ansehen musste. So erinnert er sich an einen kleinen Jungen, der von einem SS-Mann erschossen wurde, weil er vor ihm die Mütze nicht abnahm. Doch das Schlimmste sei der Hunger gewesen. Ein Brot mussten sich 24 Insassen teilen, wenn nicht ein Teil der Ration bereits den Ratten zum Opfer gefallen war. Wie man so etwas aushalten kann und ob man in einer solchen Situation nicht daran denkt, sich selbst das Leben zu nehmen, fragten die Schüler. Eugeniusz Dabrowski bejahte dies. Nur noch einmal richtig essen und dann sterben, diesen Traum hätten viele Häftlinge gehabt. Doch Erbarmen sucht man an einem solchen Ort vergebens. Die Wachleute verhöhnten sie auf das Grausamste: „Der einzige Ausweg führt durch den Kamin.“

Im August 1944 wurde Dabrowski  in die Wüste-Arbeitslager Bisingen und anschließend Dautmergen verlegt. Die langen Transfers, die weiterhin miserablen Unterkunftsbedingungen und die sehr harte Arbeit bei der Schieferölproduktion schwächten ihn zusehends. In diesem Moment jedoch kam ihm ein besonderes Talent zugute: Er konnte schon immer gut zeichnen. Einem SS-Mann fiel dies auf und dieser behandelte ihn fortan besser, steckte ihm eine Extraration Brot zu. „Ohne mein Zeichentalent hätte ich nicht überlebt“, sagt Dabrowski heute.

Doch seine Odyssee war noch nicht zu Ende. Die nächste Station war Vaihingen, das er im Rückblick als schrecklichstes Lager auf deutschem Boden bezeichnet. Dort glaubte keiner mehr ans Überleben, unterstreicht Dabrowski die dramatische Situation. Einprägsam war für ihn, dass er an diesem Ort die Weihnachtstage 1944 verbringen musste. Der Versuch etwas zu essen in der Küche zu ergattern, während die Wachleute feierten, endete für ihn auf der Krankenstation, nachdem er erwischt und schwer misshandelt worden war.

Als sich sein Zustand gebessert hatte, wurde Dabrowski nach Dachau verlegt. Hier prägten wiederum Krankheiten und Hunger seinen Aufenthalt, aber auch die Bombardements der Alliierten. Arbeiten musste er hier nicht mehr, sagt er, denn die noch lebenden Häftlinge waren einzig und allein damit beschäftigt, die Leichen ihrer Mitgefangenen zu entsorgen.

Am 29. April 1945 wurde das Konzentrationslager Dachau von amerikanischen Truppen befreit. Die ehemaligen Insassen wollten Rache an ihren Peinigern, doch die US-Soldaten ließen das nicht zu, sie übergaben die SS-Wachleute den Gerichten. Die Herrschaft der Willkür war vorüber, macht Dabrowski deutlich, und auch lange vermisste Menschlichkeit konnte er wieder erleben: Die US-Soldaten verschenkten Orangen und Schokolade.

Schließlich kehrte er nach Warschau zurück. Dort verbrachte er die Nachkriegszeit in einer zerstörten Wohnung, in Armut, ohne ausreichende Lebensmittelversorgung und geplagt von ständigen Alpträumen. Doch er hatte überlebt, genauso wie sein Vater, seine Mutter und einige weitere Familienmitglieder. Und auch Rachmiel Frydland, der dank der Hilfe der Familie Dombrowski und weiterer mutiger Polen den Fängen der Nationalsozialisten entkommen konnte.

Für die aktive Unterstützung jüdischer Mitmenschen während der Besatzungszeit erhielt Familie Dombrowski die Yad-Vashem-Medaille als „Gerechte der Völker“. „Würden Sie heute noch einmal so handeln wie damals, auch mit dem Wissen um die Konsequenzen für die Familie?“, fragten ihn die Schüler. Ja, antwortete er, er selbst, genauso wie viele andere Polen, seien immer bereit gewesen andere in Schutz zu nehmen. Trotz allem, ergänzt er, verbinden ihn heute wieder viele Kontakte und Freundschaften mit Deutschland. „Zeit heilt die Wunden“, meint er zum Abschluss, fordert aber gleichzeitig die junge Generation dazu auf sich für Frieden, Freundschaft, Toleranz und Versöhnung als Basis für das Zusammenleben der Menschen einzusetzen. Wenn wir diese Werte leben, wird sich das, was er erleben musste, nicht wiederholen, ist seine eindringliche Botschaft.

Zurück